Stenum, Rethorn, Schierbrok – seit Jahrhunderten eng verbunden

Durch die Jahrhunderte umfasste die Bauerschaft Stenum im Kirchspiel Ganderkesee jenen Raum, in dessen Zentrum das Stenumer Holz lag. An den Südrand des Waldes schmiegte sich das Dorf Stenum, an den Nordrand das Dorf Rethorn. Umgeben war der Wald von einem weiten Heide-Ödland, in das sich die Ackerflächen der beiden Dörfer hineinschoben. Außerdem gab es im Ödland einige Einzelhöfe mit ihrem Ackerland. Das waren im Süden Steenhafe und Wiedau, im Norden Kamern, Ahrensberg und Nutzhorn, im Osten Sahren.

Das gemeinsame Weideland der Dörfer und der Einzelhöfe – die sogenannte Gemeinheit – grenzte im Süden an das Gebiet der Dörfer Almsloh, Elmeloh und Hoykenkamp, im Westen an den Besitz der Dörfer bzw. Siedlungen Hollen, Brandewurth, Grüppenbühren und Ohlebusch, im Norden an die Hohe Heide und das weite Stedinger Moor und im Osten an das Kirchspiel Schönemoor.

In allen alten Registern ist der Raum innerhalb dieser Grenzen als Bauerschaft Stenum bezeichnet. Erst 1821 trennten sich Stenum und Rethorn. Die Einteilung in zwei Bauerschaften lag weniger an der gestiegenen Einwohnerzahl als daran, daß Rethorn schneller wuchs als Stenum. Streit gab es zwischen beiden Dörfern in erster Linie wegen der Schule, die schließlich in das noch völlig unbedeutende Schierbrok verlegt wurde. Dort blieb sie – für beide Dörfer – bis 1913.
In Schierbrok hatten sich ab etwa 1700 einige wenige Brinksitzer und Köter niedergelassen. Erst der 1884 entstandene Bahnhof ließ den Ort rasch an Bedeutung und Einwohnerzahl gewinnen. Von Stenum getrennt und selbständige Bauerschaft wurde Schierbrok erst kurz nach dem 1. Weltkrieg.

Auch wenn Stenum, Rethorn und Schierbrok heute drei selbständige Bauerschaften der Gemeinde Ganderkesee sind, sie haben weiterhin viele Gemeinsamkeiten. Es sei hier nur an das in erster Linie auf Stenum ausgerichtete Vereinsleben erinnert.

Der Beschluß der beiden Ortsvereine Schierbrok-Stenum und Rethorn, eine gemeinsame Chronik für die drei Orte zu erstellen, ist wegen der langen gemeinsamen Geschichte nur folgerichtig.

In den folgenden Kapiteln dieser Chronik wird der Leser immer wieder einmal auf die Begriffe „Stenumer Raum“ bzw. „Stenumer Bereich“ stoßen. Gemeint ist damit jene Landschaft, die heute die drei Bauerschaften Stenum, Schierbrok und Rethorn umfasst, nicht nur das Dorf Stenum und seine Umgebung.

Namensdeutung – Eine schwierige Sache

Die Deutung von Orts- oder Familiennamen ist oftmals eine schwierige Sache. Nur selten gibt es eine zweifelsfreie Erklärung. Mehrere durchaus zu begründende Möglichkeiten sind die Regel. Das gilt selbst dann, wenn auf den ersten Blick alles klar ist. Wagen wir trotzdem den Versuch, die Namen Stenum, Rethorn und Schierbrok und die der alten Einzelhöfe zu erklären.

Stenum wird in den mittelalterlichen Quellen als Steneme bzw. Stenem bezeichnet. Alle Deutungsversuche kommen – und das gibt es nur sehr selten – zum gleichen Ergebnis. Der Ganderkeseer Pastor Greverus sagt in seiner Kirchenchronik von 1821: „Stenum, genannt von den dort liegenden Steinen“. Und so sehen es auch die Sprach-Wissenschaftler. Sten bedeutet Stein, -em oder -um ist aus -heim im täglichen Sprachgebrauch abgeschliffen. Steinheim, die Heimstatt bzw. das Dorf bei den Steinen, das also ist Stenum (s. Hügelgrab in unserer Galerie).

Im übrigen gibt es den Namen Stenum nur noch ein weiteres Mal, im Norden Jütlands. Es ist jener Ort, mit dem seit Jahren eine partnerschaftliche Beziehung besteht, über die an anderer Stelle noch zu berichten sein wird.

Rethorn wird in alter Zeit als Rethorne oder Rethoren erwähnt. Die Sprachwissenschaft geht durchweg davon aus, dass Ret soviel wie Ried, Reit, Röhricht, Schilfrohr bedeutet. Ein Horn ist eine Spitze, ein Vorsprung, eine Ecke, die häufig zu einem Wald gehört. Der bekannte oldenburgische Namensforscher Ramsauer zählt die Bezeichnung Horn zu den Waldnamen. Rethorn wäre demnach ein baumbestandener Vorsprung in einem mit Röhricht bewachsenen Gebiet.

Nun gibt es in der Nähe von Rastede das Gut Rehorn, das in alten Urkunden als Redehorn bezeichnet wird und deshalb in Abhandlungen mehrfach mit unserem Rethorn verwechselt wurde. Die älteste Bezeichnung des Gutes von 1129 aber lautet Radehorn. Deshalb deutete der Namensforscher Schmeyers Rade als Rodung, so wie auch Rastede als Rodestätte erklärt wird. Sollte unser Rethorn die gleiche sprachliche Entwicklung mitgemacht haben, so könnte es eine Siedlung auf gerodetem Waldboden sein. Nach der Lage des Ortes dürfte eine solche Deutung durchaus nicht abwegig sein.

Schierbrok ist ein junger Ort. Die Bezeichnung ergab sich aus einem Flurnamen, der ein kleines Gebiet in der Gegend des heutigen Brookweges bezeichnete. Sie wurde später auf alle Häuser übertragen, die an der Ostseite des Stenumer Holzes entstanden. Von einem der ersten Ansiedler wird 1693 gesagt, dass er „auf’m Schierenbrock“ wohne. Wer Plattdeutsch versteht, könnte daraus schließen, dass dort „schier Brook“ gewesen sei, was mit „nur Sumpf“ zu übersetzen ist. Aber so einfach machen es sich die Sprachforscher nicht.

Mit Schier beginnende Orts- und Flurnamen gibt es in Norddeutschland viele. Auch im Stenumer Bereich sind sie mit den Flurnamen „Auf den Schieren“ und „Scherberg“ vertreten. In den sprachkundlichen Werken findet man die folgenden Erklärungen für Schier: Lauter, rein, glänzend, klar, glatt, schneiden, spalten, trennen, unterscheiden, schmutzig-sumpfig-mooriges Wasser, Kot, Grenze, Scheide, Schere, scharf, schnell. Die Reihe ließe sich noch fortsetzen, und wer die Wahl hat hat die Qual. Entsprechend schwer tun sich die Deuter des Namens Schierbrok. Schon vor Zeiten hat Wichmann auf die Namen Schierholt und Schierloh hingewiesen und diese als im Wald abgeteilte Hudewälder (in denen das Vieh gehütet werden durfte) bezeichnet. Er schloss daraus, dass Schierbrok ein aus der Allmende ausgeschiedener Bruchwald gewesen sei, in den das Vieh zur Mast und Weide getrieben wurde.

Schröer kommt zur gleichen Deutung und stellt fest, dass Schierbrok ein Bruch mit Horstwaldungen gewesen sei, der durch Wallhecken als Schweinemastgebiet abgeteilt wurde.

Bultmann meint, dass Schierbrok ein Sumpf gewesen sei, der die Grenze zwischen zwei Allmenden bildete. Er denkt dabei an eine Scheide zwischen den Dörfern Stenum und Rethorn.

Zu einer völlig anderen Deutung kommt Ramsauer. Er denkt an einen SchürBrook und meint, dass in Schierbrok einst die Scheunen und Nachtställe für das Vieh der Stenumer gestanden haben. Viele Dörfer hatten früher abseits gelegene Scheunen, sogenannte Scheunendörfer. Durch sie sollte verhütet werden, dass bei einer Feuersbrunst Dorf und Ernte gleichzeitig vernichtet wurden. Das war bei geschlossenen Dörfern auch in unserer Gegend durchaus üblich. Überliefert ist es für Ganderkesee und Harpstedt.

Der bekannte deutsche Namensforscher Bahlow schreibt, dass mit „schier“ schmutzig-sumpfig-mooriges Wasser in einer kotigen Gegend bezeichnet werde und führt Schierbrok als typisches Beispiel dafür an.

Wollen wir es bei diesen Deutungen belassen. Die Schierbroker müssen sich ja nicht für die letzte Erklärung entscheiden.

Wenden wir uns nun noch den alten, besondere Namen führenden Einzelhöfen zu.

Steenhafe, vermutlich ein alter Adelshof, wird im Mittelalter als „ton Stene“ bzw. „ton Steyne“ genannt. Später finden wir die Bezeichnungen Steenhave oder verhochdeutscht Steinhof. Hier besteht Übereinstimmung, dass der Name, wie bei Stenum, von den Steinen der „Hünengräber“ herzuleiten ist. Schmeyers möchte -have allerdings nicht von Hof sondern von Hünenstein, Henkelstein, Steinhege hergeleitet wissen.

Wiedau, eine sicherlich schon sehr alte Köterei, ist in mittelalterlichen Urkunden nicht verzeichnet. Der Familienname Wiedau, der urkundlich auf dem Hof nicht festzustellen ist, kommt aber schon sehr früh in einigen Dörfern der Umgebung vor.

Bultmann deutet den Namen als feuchtes, mit Weidenbusch besetztes Gebiet. Auch in den Herkunfts-Wörterbüchern wird Wide in aller Regel als Weide, Weidenbaum erklärt. Aue als Bach- oder Wasserbezeichnung ist nicht umstritten. Der Hof Wiedau liegt aber immerhin etwa 30 m über NN und auch eine Wiedaue ist nirgends zu finden. Vielleicht ist damit die in der Nähe des Hofes entspringende Hahlbäke gemeint gewesen.

Schröer kommt allerdings zu einer ganz anderen Deutung. Für ihn bezeichnet Wide einen Grenzbaum oder Grenzwald.

Trendelbusch, ein Brinksitzerei, taucht erst kurz vor 1800 in den Registern auf. Der Name geht vermutlich auf den Flurnamen „beim Trendelbusch“ zurück. Nach Bultmann ist ein Trendelbusch ein kreisrunder Busch. So meint es auch Böning in seinem „Plattdeutschen Wörterbuch“. Anderer Ansicht ist Bahlow, der „Trent“ als eine Moorbezeichnung ansieht. Schröer erkennt in „Trendel“ hingegen eine Grenzbezeichnung.

Sahren, eine halbe Bau, erscheint bereits als „en gut, gheheten de Sar“ im Salbuch von 1428/1450. Der Name wird von Sahar, was Ried- oder Sumpfgras bedeutet, herzuleiten sein. Auch Bultmann sieht die Erklärung Riedgras, Binsen, Rusch und verweist auf das feuchte Grünland des Hofes. Nasses Land wird als „sohrig“ bezeichnet.

Nutzborn, ist ein alter, aus einer erzbischöflichen Burg hervorgegangener Adelshof. Die älteste Bezeichnung ist Uteshorne. Spätere Formen sind Oetszehorn, Utzehorne und Nutteshorne. Die in älteren Abhandlungen stets zu findende Erklärung, dass Nutzhorn als Nußhorn – mit Nußbüschen bewachsener Vorsprung am Geestrand – zu deuten sei, dürfte bei der vorstehend geschilderten Namensentwicklung recht fraglich sein. Das gilt auch für die von Schmeyers gegebene Deutung Nuth = Sondernutzung der Mark.

Dr. Gustav Nutzhorn kommt in seiner Familiengeschichte zu der folgenden Erklärung: Die Holländer, die Anfang des 12. Jahrhunderts Stedingen besiedelten, kamen u. a. aus dem Dorf Oudshoorn (anderen Formen Outshoeren, Utshoorn) in der Provinz Südholland. Die Besiedelung erfolgte vom Geestrand aus. Ihr mit der Durchführung der Kolonisation vom Erzbischof beauftragter Lokator Johannes ließ sich am Rande der Geest nieder und nannte seinen Hof nach seinem Heimatort Uteshorne.

Das klingt alles recht logisch, aber es darf nicht vergessen werden, dass es lediglich eine Hypothese ist.

Kamern, auch Camern geschrieben, ist eine uralte halbe Bau. Die Deutung des Namens ist nach den Herkunfts-Wörterbüchern klar. Kamer ist eine Kammer. So wurde in früherer Zeit ein Gerichts- oder Gefängnisraum, aber auch ein sicherer Aufbewahrungsort für Wertsachen, bezeichnet. Es war meistens ein Steinanbau an einem Wohnhaus. Wie aber soll eine solche Erklärung zu einem einsam gelegenen Bauernhof passen?

Der Verfasser glaubte eine Lösung gefunden zu haben, als er bei seinen Ermittlungen feststellte, dass vor 1688 über Generationen eine Familie Camermann den Hof bewirtschaftet hatte. Er nahm an, dass der Familienname auf den Hof übertragen worden sei. Die weiteren Forschungen bestätigten die Annahme aber nicht. Im Delmenhorster Steuerregister von 1499 wird nämlich ein „Ludeke Arens in der Kamern“ aufgeführt. Die Familie Camermann wird demnach ihren Namen vom Hofnamen übernommen haben. Was Kamern bedeutet, muss also offen bleiben. Vielleicht liegt eine Erklärung darin, dass hier tatsächlich schon sehr früh ein Haus aus Ziegelsteinen erbaut wurde, was sonst in den Dörfern durchaus unüblich war. Die Tonvorkommen in Kamern könnten die Ursache dafür gewesen sein. Darüber wird noch berichtet.

Ahrensberg, eine Köterei in der Nähe von Kamern, ist in alten Registern unter diesem Namen nicht aufgeführt. Bei der Deutung kommt man spontan auf den Besitz eines Mannes mit Namen Ahrens.

Schröer aber vermutet hier einen einst in Richtung Stedingen fließenden Bach Ahren, der dem Hof seinen Namen gab. Nachdem nun aber feststeht, dass der Nachbarhof Kamern einst von einem Arens bewirtschaftet wurde und eine alte Karte unmittelbar nordwestlich von Nutzhorn den Flurnamen „Ahrens Nien“ verzeichnet, dürfte die Ableitung des Hofnamens Ahrensberg vom Familiennamen Ahrens doch recht wahrscheinlich geworden sein.

Eingangs ist gesagt worden, dass die Namensdeutung ein schwieriges Kapitel sei. Die vorstehenden Ausführungen haben das sicherlich bestätigt. Weitere Orts- und Flurbezeichnungen des Stenumer Raumes werden in einem besonderen Kapitel noch zu deuten sein.

Eine überaus reizvolle Landschaft

In romantischem Überschwang sagt der Altmeister der Heimatkunde zwischen Weser und Ems, Pastor Karl Woebcken, in seinen „Oldenburger Wanderungen“ von 1923 über Stenum die folgenden Sätze. „Das Hünengrab in Stenum ist nur der Rest eines solchen. die ursprüngliche Anlage ist nicht mehr zu erkennen. Eine Eiche wächst mitten zwischen den Steinen und überschattet sie. Eines hat dieses Denkmal anderen, größeren und besser erhaltenen, voraus. Es besitzt einen Fernblick, wenigstens nach einer Seite. – Weithin schweift der Blick über die Kornfelder. Unten im Tal liegt Stenum, am Waldesrand, fast vergraben unter Lindenbäumen. Sei mir gegrüßt du deutsches Land Du schönstes Land von allen!

Seit zum ersten Mal eines Menschen Fuß sich hierher verirrte, seit der erste Anwohner die Pfähle seiner Hütte einschlug, haben sie diesen Flecken Erde lieb gehabt. Nie wieder hat er wüst und leer gelegen, nie sind sie alle in die Ferne gezogen, einer neuen Heimat entgegen.

Ein volles Jahrhundert vorher schreibt Pastor Greverus in seiner Kirchenchronik: „Stenum – liegt in einer schmalen Niederung zwischen hohem Feldacker und unkultivierten sandigen Heidhöhen. – Das Stenumer Holz in seinem Rücken“.

In der „Heimatkunde des Herzogtums Oldenburg“ von 1913 stellt H. Schütte fest:  „Am Nordostrand der Delmenhorster Geest – tritt fast überall Grundmoränenlehm und schwarzer Ton, hier Dwo genannt, zu Tage. – Die Grundmoräne in Form von Geschiebelehm ist aber auf der Delmenhorster Geest viel weiter verbreitet. Sie bildet einen vorzüglichen Waldboden, und daher haben wir gerade in dieser Gegend große und prächtige Laubwaldungen. Die teils schon durch das Eis und seine Schmelzwasser modellierten Höhen treten infolge der tief eingewaschenen Bachtäler noch plastischer hervor und formen mit ihrer Waldbedeckung im Wechsel mit den halb in Baumgruppen versteckten Ortschaften und ihren meist hochgelegenen Ackerfluren eine überaus reizvolle Landschaft.“

Ähnlich klingt es im „Oldenburger Wanderbuch“ noch 1951: „Stenum liegt in einer Einbuchtung des Geestrandes am Abhang gegen die Weserniederung. Der Geestrand hat eine ziemliche Höhe. Die Einbuchtung, die sich aufwärts in mehrere kleine Täler verzweigt, gibt der Landschaft den Charakter eines Hügellandes.

Und ein „Führer durch die Gemeinde Ganderkesee“ von 1929 meint:

„Märchenhaft schön ist der Stenumer Wald in der rotglühenden Pracht des Herbstes“.

Wollen wir es bei dieser Aufzählung, die durchaus noch fortgesetzt werden könnte, belassen. Man ist sich einig. Der Stenumer Raum ist eine reizvolle Landschaft. Und so empfinden es sicherlich auch die vielen tausend Besucher, die seit Generationen Jahr für Jahr Stenum und seine Umgebung besuchen.

Beschäftigen wir uns einmal näher mit dieser Landschaft. In einem unendlich langen Zeitraum hat der Weserfluß sein breites Urstromtal ausgewaschen. Dort wo die Macht des Wassers endete, ist der Rand der hohen Geest noch heute als deutliche Stufe sichtbar. Westlich der Weser ist der Geestrand zwischen Hude und Dwoberg am ausgeprägtesten. Im Stenumer Raum kennzeichnen ihn schon die Orts- und Flurbezeichnungen. Genannt seien Hohe Heide, Kiekut, Hohenkamp und Hohenborn. Zwischen die beiden zuletzt genannten Höhen schiebt sich die durch die Namen Schierbrok, Sahren und Kehnmoor gekennzeichnete, vorstehend erwähnte Einbuchtung in den Geestrand. Die in diese Niederung einmündenden Täler sind Ausspülungen, durch die über lange Zeiträume das sich auf der Geest sammelnde Wasser in die Weserniederung abfloss. Die heutigen Bächlein lassen sich zu den breiten Wiesentälern, in denen sie fließen, kaum in eine Beziehung bringen. Dabei vergisst man, dass sich die Wasserverhältnisse seit etwa einem Jahrhundert grundlegend verändert haben. Auf die Bäche im Stenumer Raum wird noch in einem besonderen Kapitel einzugehen sein.

Dem Geestrand vorgelagert ist zwischen Huchting und Bookholzbcrg eine Talsandfläche, die sogenannte Vorgeest. Sie liegt innerhalb des Weserurstromtales nur geringfügig höher als die übrigen Tallandschaftsformen Marsch und Moor. Im Stenumer Raum gehören Ahrensberg, Kamern, Nutzhorn, Schierbrok und Sahren zur Vorgeest.

Erwähnt sei schließlich noch, dass es in den Wiesentälern und auch auf den Hochflächen in einigen Fällen durch Staunässe zur Bildung von Schlatts, die sich später zum Teil in Kleinmoore verwandelten, gekommen ist. Genannt seien hier die Namen Kehnmoor und Lütje Moor sowie zwei Schlatts im Sandgebiet westlich der Wolfskuhle.

Anschließend sei noch kurz auf die Höhenunterschiede im Raume Stenum – Rethorn eingegangen. Der höchste Punkt der nördlichen Delmenhorster Geest liegt mit 37,4 m über NN unmittelbar südwestlich vom Großen Mittelhoop. Beim Kleinen Mittelhoop sind es 3 m weniger. An der Huder Chaussee sind es in Höhe des Mittelhoop 33,4 m. Unmittelbar am Geestrand liegen die Werte niedriger, so auf der Hohen Heide bei 28,5 m, beim Kiekut bei 20,8 m, beim Hohenkamp bei 21,5 m und in Hohenborn bei 23,1 m. Vor dem Geestrand sieht es wie folgt aus: Kamern 7,6 m, Nutzborn 2,8 m, Nutzhorner Feld 5,1 m, Schierbrok-Altengraben 3,6 m, Sahren 4,6 m, Hahlbek 9,3 m.

Sehr unterschiedliche Werte finden sich im Raume Schierbrok-Stenum und im Stenumer Holz. So bei der Schule Schierbrok 7,2 m, Kehnmoor 13,2 m, Bahnhofstraße in Nähe Stenum 10,3 m, Hünengrab 22,2 m, Sonnenheilstätte 30,7 m, südl. Dorfende – Kehnmoorweg 17,2 m. Im Stenumer Holz b. Ort Rethorn 26,8 m, im mittleren Bereich des Waldes zwischen 10 und 12 m, an der Bahnhofstraße zwischen 8 und 10 m, im Westen und Nordwesten 16 bis 25 m.

Die Höhenwerte bestätigen das Bild der Randlage zwischen Flussniederung und hoher Geest. Es ist eine Hügellandschaft mit Tälern, wie im „Oldenhurger Wanderbuch“ so schön gesagt wird.

Die Eiszeit formte die Landschaft

Es stellt sich die Frage, wie das vorstehend geschilderte unterschiedliche Landschaftsbild, wie Geest und Vorgeest, Täler und Kleinmoore entstanden sind. Um diese Frage zu beantworten, wird ein Blick in ferne erdgeschichtliche Zeiten erforderlich. Dargestellt werden können im Rahmen einer Ortsgeschichte aber nur die wesentlichen bodenformenden und landschaftsgestaltenden Kräfte. Die vielfältigen Nebeneinflüsse müssen außer Betracht bleiben.

Gestaltet wurde unsere heimatliche Landschaft in erster Linie von den verschiedenen Eiszeiten und den dazwischen liegenden Wärmeperioden, dem sogenannten Diluvium. Insgesamt waren es drei Eiszeiten, die das Gesicht unseres Raumes prägten. Etwa 600000 Jahre liegt der Beginn der ersten Eiszeit zurück. Vor etwa 20000 Jahren endete die letzte. Etwa 80000 Jahre sind vergangenen, seit die letzten Gletscher in Nordwestdeutschland geschmolzen sind. Den entscheidenden Anteil an der Bodenbildung und -formung hatten hier die erste (Elster-) Eiszeit und die mittlere (Saale-) Eiszeit.

Während der sogenannten Saale-Vereisung lag unsere Gegend unter einer Eisschicht, die eine Mächtigkeit von bis zu 1000 Metern hatte. Die sich langsam von Skandinavien heranschiebenden Gletscher führten riesige Mengen Gesteine und Sande mit sich, die vom Eisdruck mehr und mehr zerrieben wurden. Was übrig blieb sind jene Sande, Tonerden, Kiese, Steine und Findlinge, die den Boden unserer Heimat bilden.

Abgelagert wurden diese Materialien bei uns infolge zunehmender Erwärmung. Es bildeten sich Gletscherspalten, durch die das Schmelzwasser den Untergrund des Eises erreichte, sich dort Rinnsale schuf, die sich im Laufe der Zeit zu Tälern auswuschen und in denen die mitgeführten Steine und Sande abgesetzt wurden. Es entstanden die sogenannten Grundmoränen. Es flossen aber auch Schmelzwasserströme über den Gletscherrand ab. Sie schufen tiefe Ausspülungen und lagerten die mitgeführten Materialien vor dem Gletscherrand ab. Diese Ablagerungen nennt man Endmoränen.

Die Schmelzwasser wuschen auf ihrem Wege zu den niedrigsten Stellen gewaltige Urstromtäler aus. Wo sich das Wasser sammelte, entstanden riesige Stauseen.

Das sogenannte Bremer Becken war ein solcher Stausee. Es umfasste die heutigen Flussniederungen von Weser, Aller, Ochtum und Lesum. Hatten sich in einem solchen Stausee die Wassermassen beruhigt, dann setzten sich die mitgeführten Materialien ab. Zunächst die Steine und Findlinge, dann die Kiese und Sande. Schließlich überzog der im Wasser enthaltene feine Staub, die „Gletschertrübe“ das ganze mit einer dünnen Schicht. Drang das Eis dann erneut vor, dann rollten die Gletscher zunächst die Deckschicht, die wir heute als Ton oder Lehm kennen, auf und schob sie übereinander und an den Rändern der Urstromtäler empor. Diese Stauchungen sind unsere heutigen Tonlager.

Wie mächtig die Tonlager teilweise sind, zeige eine vor Jahrzehnten auf dem Hohenkamp in Rethorn vorgenommene Bohrung. Als bei 70 m die Bohrung abgebrochen werden musste, weil sich ein großer Stein als Hindernis in den Weg stellte, befand man sich immer noch im Ton.

Der Geestboden unserer Heimat ist also ein riesiges Lager zerriebener Sande und Steine aus dem skandinavischen Raum. Der Name Geest kommt von güst, was unfruchtbar bedeutet. Und das war dieser Boden auch bis zur Anwendung des Kunstdüngers. Das Wasser hatte die an sich schon wenig fruchtbaren Sande in ihren oberen Schichten entmischt, d. h. die Kalk- und Lehmbestandteile ausgewaschen. Die Folge war eine karge Vegetation.

Eine andere Entstehungsgeschichte hat die Vorgeest. Sie liegt bereits innerhalb des Urstromtals der Weser und ist eine sogenannte Talsandfläche. Die von der Geest kommenden Bäche haben bereits zwischen den einzelnen Eiszeiten große Mengen Sand als Schuttkegel im Urstromtal abgelagert. Dabei schwemmten sie Immer wieder ihre eigenen Läufe zu, so das die Sandplatte der Vorgeest vielfältig geteilt ist. In den verlagerten Bachläufen bildeten sich dann kleine Sümpfe, die im Laufe der Zeit durch Verlandung Kleinmoore wurden. Außerdem kam es an manchen Stellen durch Windeinwirkung zur Dünenbildung.

Solche Dünenbildung durch Wehsande gab es aber auch auf der hohen Geest. Bultmann berichtet, dass 1925 in Grüppenbühren beim Heidberg ein Brunnen gegraben wurde. Dabei sei man in 18 m Tiefe unter dem Sand auf Waldboden gestoßen. Wehsande hatten dort ein Tal eingeebnet.

Eine Karte von 1760 verzeichnet auf der hohen Heide in der Grüppenbührener Gemeinheit riesige Flugsandgebiete, die auch als solche bezeichnet werden. Eingezeichnet sind an den Rändern Sandfangwälle, die den Sand von den Ackerflächen und Weidegebieten fernhalten sollten. In Richtung Rethorner Esch ist ein Wall eingetragen, bei dem geschrieben steht: „Stück eines alten Walles gegen das Flugsand“.

Teilweise wurden tiefe Mulden ausgeweht, die sich bei Ortstein- oder Tonuntergrund später mit Wasser füllten. Eine Karte von 1819 verzeichnet zwei solche Schlatts südlich der Wolfskuhle.

Im Stenumer Raum haben sich solche Schlatts durch Verlandung in Kleinmoore verwandelt. Darauf weisen noch heute Flurnamen hin, z. B. die Bezeichnung „Kehnmoor“ und „Lütje Moor“ westlich bzw. östlich vom Trendelbuscher Weg und die 1760 erwähnte „Grünte im lütjen Moor“ zwischen Sahren und Hahlbeek.

Das Kehnmoor ist auf der Vogteikarte von etwa 1790 als verhältnismäßig großes rundes Schlatt mit offener Wasserfläche verzeichnet. Bei der Gemeinheitsteilung im Jahre 1845 machte die Wasserfläche immerhin 1 Jück und 148 Ar aus.

In den 20er Jahren war der Rest noch als Viehtränke vorhanden. Ältere Einwohner erinnerten sich auch noch, dass bis zur Jahrhundertwende rund um das Kehnmoor-Schlatt Torf gestochen wurde. Es lag inmitten einer weiten Heidelandschaft.

Der Name „Lütje Moor“ bedarf keiner Erklärung. Ein Kehnmoor ist ein mit Kienholz durchsetztes Moor. Eine Karte von 1760 verzeichnet den Namen sogar mit „im Kienmoor“. Kienholz ist Nadelholz, insbesondere solches von Kiefern, das Jahrtausende im Moor gelegen hat. Dass solches im Kehnmoor in größeren Mengen gefunden wurde, ist überliefert.

Die hier später ausgestorbene Kiefer war in Norddeutschland bis etwa 600 v. Chr. stark verbreitet. Die im Moor erhaltenen Reste sind sehr hart und harzreich. Unsere Vorfahren hatten mancherlei Verwendung dafür. Es wurden Wurst, Schinken und Speck damit geräuchert, es wurde Teer daraus gewonnen und es wurden Kienspäne davon gefertigt.

Der Moorkolonisator Findorff schildert die Herstellung von Kienspänen wie folgt:

„Es wird die äußere Rinde des Stammes, sobald er ausgegraben und noch feucht ist, in lauter schmale Striemen, etwa einen Finger breit und nach Dicke der Ringe des Baumes, abgeschält. Diese harzigen Striemen werden, wenn sie trocken, an einem Ende angezündet sind, auf einem dazu gemachten vier Fuß hohen Gestell – in schräger Stellung gelegt. Sie brennen eine ziemliche Weile und dienen dem Hausgesinde statt einer Lampe“.

Erwähnt sei noch, dass die Kleinmoore durch die Jahrhunderte eine erhebliche Bedeutung für die Brennstoffversorgung der Bevölkerung hatten.

Interessante Bodenverhältnisse

Obwohl im bereits ausführlich über die Entstehung des Bodens am Geestrand berichtet wurde, scheint es doch erforderlich, die Verhältnisse im Raum Rethorn-Kamern noch besonders zu betrachten. Der umfangreiche Sand- und Tonabbau in diesem Bereich hat dazu geführt, dass die geologischen Gegebenheiten das Interesse der Wissenschaftler in ganz besonderem Maße fanden.

Bereits in der „Heimatkunde des Herzogtums Oldenburg“ von 1913 setzt sich H. Schütte im Rahmen der „Geologie der Heimat“ mit den Gegebenheiten am Geestrand besonders auseinander. Ein Foto über den „Tonaufschluss in der Ziegeleigrube von Kamern“ stellt eine der Schichtungen auch bildlich dar. Auszugsweise sagt Schütte folgendes: „Die zu mächtigen Lagern aufgehäuften Tonmassen, werden, wenn sie noch reich sind an Kalk, als Mergellager, wenn aber der Kalk ausgewittert und das Eisen oxydiert ist, als Lehmlager bezeichnet. Meistens schließen sie viele mitgeschobene Blöcke von Granit, Gneiß, Porphyr, Sandstein usw. ein. — Man spricht dann von Geschiebemergel oder Geschiebelehm. — Oftmals verraten die Steinblöcke durch abgeschliffene Flächen, dass sie — über liegendes Gestein unter großem Druck hinweggeschurrt sind. — Sind sie ringsum gerundet, so haben mit dem Geröll die Gletscherwasser ihr Spiel gehabt. — Wo sich größere Gerölle gehäuft finden, darf man auf das Bett eines mit großer Kraft strömenden Gletscherbaches schließen.

Vielfach liegt die Grundmoräne auf Bänderton, in der Delmenhorster Gegend Dwo genannt. — Er sieht im feuchten Zustand schwarz aus — und enthält stellenweise zerriebene Braunkohle. — Er wird auch als Lauenburger Ton bezeichnet. — Nur die weniger kalkreichen Schichten sind zum Ziegelbrennen geeignet. Sind sie sehr sandarm, so müssen sie mit sandreicherem Material vermischt werden.“

An anderer Stelle sagt Schütte: „Gleich beim Bahnhof Grüppenbühren steigt der Geestrand aus der Tiefe des Moores bis zu 29 m empor. — Dieses Hochufer — hat das Inlandeis (der mittleren Eiszeit) schon vorgefunden. Das beweisen die gewaltig zusammengestauchten Massen von schwarzem Ton, die es mit eingepressten geschichteten Sandschollen auf den liegenden Sand hinaufschob. —Es scheint, als hätte das Eis jenen Ton aus der vorgelagerten Senke emporgepresst und mit gefrorenen Sandmassen des Hochufers durchmengt“.

Schütte geht auch auf die großen Sandlager ein. Er sagt: „Westlich von Kamern keilt der Ton aus. Hier beginnen die ausgedehnten Sandausschachtungen der Eisenbahn, — an die sich die Kiesgruben der Hartsteinfabrik anreihen. — Vom Geröll — bis zu den feinsten Korngrößen stufen sich die Kiese und Sande unserer Geest oft in denselben Sandgruben, z.B. bei den Hartsteinwerken in Grüppenbühren. — Manchmal sind die schräg einfallenden Sand- und Kiesschichten horizontal abgehobelt und von der geschiebereichen Grundmoräne überdeckt, manchmal finden sich mitten im Geschiebeton mitgeschobene Schwemmsandmassen, sogenannte Sandlinsen, die noch ihre ursprüngliche Schichtung zeigen.“

Angefügt seien hier noch einige Sätze aus der Arbeit von Prof. Dr. Dienemann über den geologischen Aufbau unserer Heimat in dem Werk „Der Landkreis Oldenburg“ von 1956. Er sagt: „Gewisse Tone und Sande, die am Aufbau der Geest einen großen Anteil haben, sind elstereiszeitliche (früheste Eiszeit) Ablagerungen. Es sind dies der Lauenburger Ton und die tieferen Teile der Unteren Sande, — in der Bremer Gegend auch Ritterhuder Sande genannt. — Es handelt sich um helle, bis über 20 m mächtige, sehr feinkörnige und nur selten von schwach kiesigen Lagen durchsetzte Quarzsande. — Am Geestrand erstrecken sie sich von Kamern bis an den Westrand von Hude. Die großen Sandentnahmen der Bundesbahn und — des Kalksandsteinwerkes bieten hier prächtige Aufschlüsse.“

Wie „chaotisch“ der Bodenaufbau am Geestrand ist, lässt sich vorzüglich aus einer Bodenkarte der Forstverwaltung für den Stenumer Wald erkennen. Danach ist im Westen des Waldes Mergeluntergrund, im Norden Geschiebelehm, im Zentrum und im Osten Lauenburger Ton, am Südrand Sand vorhanden. Eingelagert sind in diesen Untergrund zwei kleine Sandlager im mittleren und im südöstlichen Bereich, ein Mergelgebiet am Südostrand und zwei Geschiebelehmlager im mittleren und südwestlichen Gebiet. Wollen wir es mit diesem Blick auf den geologischen Aufbau des Geestrandes genug sein lassen. Dass dabei in erster Linie Ausführungen von Fachleuten zitiert wurden, mag der Leser verzeihen. Die schwierige Materie machte es erforderlich.

Schließlich sei noch erwähnt, dass in den Ablagerungen am Geestrand ab und an auch Bernsteinstücke gefunden worden sind. Ein großes Stück wurde im Sommer 1823 beim Tongraben in Rethorn entdeckt. Es wird in einem Zeitungsbericht aus jener Zeit als „4 Zoll lang, 1,5 Zoll dick und 12 Lot schwer“ beschrieben.

Das von der hohen Heide herunterfließende Wasser

Im Jahre 1740 spricht der Landmesser Richertz von dem sich im Moorgraben bei Schönemoor „versammelnden Wasser, das von der hohen Heide herunterfließt“. Er meint damit das im Stenumer Raum auf der hohen Geest anfallende Oberflächenwasser, das durch die verschiedenen Bäche der Schierbrok-Stenumer Bucht zu Tale fließt.

Vor der Besiedlung der Stedinger Brookseite, über die wir durch Urkunden von 1142 und 1149 gut informiert sind, wird das Wasser von der hohen Geest auf den von der Natur vorgegebenen Wegen direkt in die Sümpfe der Brookseite geflossen sein. Die Besiedlung und Kultivierung des Sumpflandes aber setzte voraus, dass der Lauf des Wassers in geregelte Bahnen gelenkt wurde. Nur wenn das Oberwasser aus der Brookseite ferngehalten werden konnte, war das Land zu nutzen. Deshalb legten die im Wasserbau erfahrenen Kolonisatoren aus Holland vermutlich schon mit der Besiedlung von Schönemoor den Moorgraben und den Moorgrabendeich an. Künftig floss das Oberwasser durch den Moorgraben und weiter mit der Delme und Ochtum direkt in die Weser.

Schwierigkeiten gab es nur, wenn der Abfluss in den Strom durch Hochwasser behindert wurde oder wenn Eisdämme bei einsetzendem Tauwetter den Ablauf überhaupt verhinderten. Bei einem solchen Rückstau war der Brook südlich vom Moorgrabendeich das Auffangbecken für das Oberwasser. Ältere Einwohner erinnern sich noch gut, dass sich der Brook bis in die 40er Jahre unseres Jahrhunderts fast Jahr für Jahr für einige Zeit in einen See verwandelte. Setzte dann Frost ein, so hatte die Jugend eine ideale Eislauffläche.

War auch der Brook mit Wasser gefüllt, dann staute sich dieses bereits weiter oberhalb und füllte auch das kleinere Rückhaltebecken, das im Norden vom Nutzhorner Feld, im Süden vom Sahrener Feld und im Westen vom Stenumer Wald begrenzt wurde und den Namen Schierbrok trug. Unsere Vorfahren zögerten sehr lange mit der Besiedlung dieser Niederung, weil sie wußten, dass sie dort immer wieder „nasse Füße“ bekommen würden.

Erst die Vertiefung der Weser durch die sogenannte Weserkorrektion zwischen 1883 und 1895 verbesserte die Situation, ohne das Wasserproblem völlig zu lösen. In Schierbrok standen bis in die letzten Jahrzehnte hinein immer wieder große Flächen für einige Zeit unter Wasser.

Der Anfall von Oberwasser nahm im übrigen mit der zunehmenden Kultivierung der Geest deutlich zu. Das sahen die Stedinger mit Sorgen. So klagen sowohl der Altenescher Pastor Steinfeld als auch der Stedinger Chronist Bulling, dass „durch die größere Kultivierung der Moore und Heyden dem Stedingerland immer mehr Wasser zugeführt“ werde.

Die Bäken

Betrachten wir einmal jene Bäche, die das Oberwasser zu Tale befördern. Dabei geht es nicht um das Bild, das die Wasserverhältnisse im Stenumer Raum nach den vielfältigen Wasserbaumaßnahmen der letzten Jahre bieten. Nehmen wir den Zustand vor dieser Zeit.

Da ist zunächst die Hahlbäke, die das Wasser aus dem Raum Wiedau/ Trendelbusch sammelt, ihren Namen auf den Hof Hahlbek überträgt und dann im Hof Sahren vorbei durch den westlichen Brook zum Moorgraben fließt. Ihren Namen trägt sie vermutlich, weil sie ein tief eingeschnittener, also hohler Bach ist. Für ihren oberen Lauf gilt das noch heute. 1985 ist das Hahlbäke-Tal in die Liste der Naturdenkmale aufgenommen worden, weil dort „eines der letzten naturnahen Gewässer“ der Gemeinde fließt. 1894 erwähnt Buchenau das Tal als eine Schlucht bei Wiedau“, und die Anwohner des Trendelbuscher Weges sprechen auch wohl von der „Augustenschlucht“, ohne zu verraten, welche Auguste dafür den Namen gegeben hat.

Auf jeden Fall aber ist das Hahlbäke-Tal in einer Zeit, die fast nur noch kanalisierte Bäche kennt, ein sehens- und erhaltenswertes Stück Heimat. Wir sehen hier, mit welcher Kraft sich das Wasser im Laufe langer Zeiten in den Geestrand eingearbeitet hat, und wir sehen an den Ufern ein reiches Pflanzenleben.

Erwähnt wurde bereits, dass der Name Wiedau als eine Aue mit Weidenbüschen gedeutet wird. Da sich ein anderes Auetal in diesem Raum nicht findet, könnte die Hahlbäke einst die Wied-Aue gewesen sein.

Im amtlichen Register ist als weiterer Bach der „Wasserzug von Steenhafe“, einmündend in die Schierbroker Bäke, verzeichnet. Die Anwohner bezeichnen ihn einfach als „Bäke“. Auf alten Karten aber ist der Name „Steenbäke“ vermerkt. Und in einem Verzeichnis der Rechte des Gutes Elmeloh von 1816 wird gesagt, dass die Vieh- und Schaftrift „bis an die Steenbäke“ gehe.

Das breite Tal nördlich des Hofes Steenhafe, in dem das Bächlein „Steenbäke“ fließt, steht in keinem Verhältnis zum heutigen schmalen Wasserzug. Sicherlich ist die Steenbäke, die nicht nur vom Oberflächenwasser sondern auch von einigen Quellen gespeist wurde, einst von wesentlich größerer Bedeutung gewesen. Heute quert sie mit zwei Armen den Kehnmoorweg und fließt dann in die Schierbroker Bäke.

In der Niederung nördlich Steenhafe wird vor Zeiten der Flurname Jericho erwähnt. Er geht vielleicht auf einen bibelfesten Besitzer zurück, der die Steenbäke als seinen Jordan betrachtete und am anderen Ufer sein Jericho liegen sah.

Weitere Zuflüsse zur Schierbroker Bäke kommen aus dem Stenumer Holz. Sie bilden sich innerhalb des Waldes aus einer ganzen Anzahl von Rinnsalen und werden insbesondere auch von mehreren eisenhaltigen Quellen gespeist. Bezeichnet werden sie, ohne besondere Namen, als Bäken.

Bevor diese den Wald an seiner Nordostecke verlassen, vereinigen sie sich zu einem Wasserzug. Dieser begleitet dann die Bahnhofstraße an ihrer Nordseite bis in die Nähe des Bahnhofs.

Dort mündeten bis vor einigen Jahren die beiden Bäche an der Nord- und an der Südseite der Bahnhofstraße und ein weiterer vom Bremer Weg kommender Wasserzug ineinander und unterquerten als „Schierbroker Bäke“ gemeinsam den Bahndamm. Auf der Südseite begleitete diese die Bahnhofstraße bis zum Grundstück des Hofes Schulte. An der westlichen Grundstücksgrenze entlang bog die Schierbroker Bäke dann auf den Hof Fastenau zu, unterquerte bei diesem die Nutzborner Straße und vereinigte sich unmittelbar danach mit der Kamerner Bäke. Der dort erhaltene Flurname „Schloß“ dürfte mit der Einmündung im Zusammenhang stehen. Unter der Bezeichnung Kamerner Bäke flossen beide Wasserzüge gemeinsam in den Brook und mündeten dort nach einigen hundert Metern in den Moorgraben oder Kanal.

Der Gasthof „Zur Eiche“ in Schierbrok am Bahnhof, etwa 1925. Davor der breite Graben an der Südseite der Bahnhofstraße. Foto: Archiv
Die vorstehend erwähnte Kamerner Bäke entwässert den Raum Kamern— Rethorn. Die ursprünglichen Gegebenheiten in den Wasserverhältnissen dieser Gegend sind nicht mehr aufzuklären. Schröer vertritt die Auffassung, dass hier in früheren Zeiten mehrere Bäche ihr Wasser der Hörspe und damit der Stedinger Brookseite auf direktem Wege zugeleitet haben. Mit dem Anwachsen des Hochmoores sei schließlich der Wasserablauf so erschwert worden, dass nur noch der Weg in Richtung Osten über die heutige Kamerner Bäke möglich war.

Es ist aber auch die Möglichkeit gegeben, dass der Weg zur Hörspe im Rahmen der Wasserbaumaßnahmen, die der Anlage der Hollerkolonie Schönemoor rangingen, abgesperrt wurde, um den Wasserzufluss in die Stedinger Brookseite zu vermindern.

Für diese Annahme könnte eine Nachricht aus dem Jahre 1885 sprechen. Der amtliche Bericht besagt, dass die Kamerner Bäke „eine mangelhafte Wasserzucht mit vielen Krümmungen, mit Busch und Bäumen bewachsen“ sei. Weiter wird ausgeführt, dass die Bäke sich in den Wischen nördlich vom Hof Kamern staue. Diese Niederung werde auf ihrer Nordseite durch einen Deich begrenzt, der in früherer Zeit vom Stedinger Land unterhalten worden sei. Der Deich der Kamerner Bäke wird auch schon bei der Gemeinheitsteilung im Jahre 1845 erwähnt.

Der Deich hat also die Aufgabe gehabt, den natürlichen Ablauf des Wassers in Richtung Hörspe zu unterbrechen. Darauf legten die Stedinger Wert, sonst hätten sie die Deichunterhaltung nicht übernommen. Noch heute ist die Kamerner Bäke die Grenze zwischen dem Entwässerungsverband Stedingen und dem Ochtumverband.

Die Abführung des Wassers über die Kamerner Bäke in Richtung Osten zum Moorgraben muss schon vor langer Zeit geregelt worden sein. Auf einer Karte, bald nach 1700 entstanden ist, wird der „Kamerner Bach“ bereits mit seinem heutigen Verlauf verzeichnet. Dort, wo das Nutzhorner Feld endet, hat man ihm allerdings die Bezeichnung „Hohlbach“ gegeben. 1793 wird die „Cammerbäke“ erwähnt und Bulling sagt 1830 in seiner „Geschichte des Stedinger Deichbandes“, die Cammerbäke sei der Obenauf des Moorgrabens.

Die Zerstörung des Geestrandes bei Rethorn—Kamern durch die Ausbeutung der Ton- und Sandlager hat uns die Möglichkeit genommen, den Verlauf der verschiedenen Zuflüsse zur Kamerner Bäke zu beschreiben. Dass der Wasserablauf durch die Ton- und Sandgruben wesentlich verändert wurde, ergibt sich z.B. aus einer Überlieferung, nach der vor etwa einem halben hundert das Oberflächenwasser aus dem Raum Kiekut mittels einer „Holzrutsche“ wie ein Wasserfall in die Sandgrube geleitet wurde, um den am Rande der Grube verlaufenden Pappelweg nicht zu beschädigen.

Zwei Zuflüsse zur Kamerner Bäke sind aber noch in ihrem natürlichen Verlauf erhalten. Der eine ist die sogenannte „Pürsch“, die sich als Taleinschnitt vom Kiekut her durch die „Grüne Senke“ zur Kamerner Bäke hinzieht. Sie führt nur bei erheblichem Zulauf das Wasser zu Tal. Im allgemeinen aber liegt sie trocken. Im Anfang unseres Jahrhunderts erwähnt der Flurnamenforscher Ramsauer in Rethorn eine „Piske“, die vermutlich mit der „Pürsch“ identisch ist. Er sagt, dass Piske der übliche Name für solche Wasserzüge sei, die nur bei starkem Regen zu Tale polterten.

Der zweite Zufluss zur Kamerner Bäke führt keinen besonderen Namen. Er beginnt in Rethorn auf Alfs Wiese und fließt zunächst in den Nordwestzipfel des Stenumer Holzes. Dort fällt noch heute eine „Schlucht“ von einigen Metern ins Auge, in der sich ein Bächlein schlängelt. Vor Jahrzehnten setzte diese „Schlucht“ mit der „Bäke“ sich jenseits des Waldrandes am Birkenweg entlang bis zur Kamerner Bäke bei Nutzhorn fort. Dem Wunsch eines Anwohners, die für seine Zwecke mit einem Stau zu versehen, wurde seinerzeit von der Verwaltung widersprochen. Später wurde der Bach dann verrohrt und die Schlucht zugeschüttet.

Erwähnt sei schließlich noch, dass die Kamerner Bäke, deren Anfänge auf der zwischen Mittelhoop und Kiekut liegen, von der Rethorner und der Kamerner Ziegelei für das Abpumpen des Wassers aus den Tonstichen in Anspruch genommen wurde. Beide hatten erhebliche Wasserprobleme, da sie den Ton auf quelligem Gelände abbauten. Gegen Ende des 1. Weltkrieges wurde einmal eine Quelle angestochen, die meterhoch sprudelte und nur mit Mühe geschlossen werden konnte. Später stand morgens immer einmal wieder der Tonstich voll Wasser. Abgepumpt wurde dann, wenn es erforderlich wurde, oder auch dann, wenn der Verwalter von Gut Nutzhorn darum gebeten hatte, weil die Kamerner Bäke trocken war und er Wasser für das Vieh benötigte. Im übrigen ist der unter der Bahn hindurchführende Tunnel der Ziegelei Kamern zu ihrem ersten Tonstich beim Hof Kamern heute der Durchlass für die Kamerner Bäke.

Quelle: Kurt Müsegades, Stenum-Rethorn-Schierbrok – Dörfer um den Stenumer Wald